
Marktbericht – kurzfristige Prognosen vs. langfristige Positionierung
Wie gewohnt zum Jahresende verbreiten Analysten und Vermögensverwalter ihre Prognosen für die Anlagemärkte fürs kommende Jahr. Die Orientierung an kurzfristigen Punktprognosen kann jedoch fatale Folgen haben, wenn man von seiner Anlagestrategie abweicht, weil aktuelle Bewegungen und Nachrichten nicht „mehr“ ins erwartete Szenario passen. So hat zum Beispiel der S&P500 Index am 19. Februar 2020 ein Allzeithoch erreicht, bevor er einen guten Monat später um 34% abgestürzt ist, um nach dem eindrücklichen Rebound bereits am 18. August 2020 einen neuen Höchststand zu erreichen. Die Aussicht auf die baldige Verfügbarkeit eines Covid-19-Impfstoffes und eine absehbare Amtsübergabe von Donald Trump an Joe Biden hat die Risikofreude an den Aktienmärkten weiter zurückgebracht und dem November Rekordperformances beschert (z.B. Dow Jones beste Monatsperformance seit 1987). Kaum jemand hat solche Kursbewegungen vorhergesehen. Wer also Mitte März die Ruhe verloren hat und aus Angst vor weiteren Einbrüchen sein Aktienengagement reduzierte, handelte rückblickend gesehen falsch. Jetzt das Aktienengagement zu reduzieren, weil man nach der starken Erholung einen erneuten Rückschlag fürchtet, dürfte aus strategischer Optik ebenso falsch sein. Es macht also daher mehr Sinn, sich auf langfristige Perspektiven und strukturelle Faktoren zu stützen. Ein solcher struktureller Faktor ist der Trend hin zu nachhaltigen Anlagen und der Ausrichtung auf ESG-Kriterien. Was das genau bedeutet und wie es dazu kam, wird im Themenschwerpunkt dieses Newsletters erläutert.
Trend zu nachhaltigen Anlagen – ESG-Kriterien
Derzeit gibt es einen starken Zufluss von Geldern in nachhaltige Anlagestrategien. Weltweit gibt es mittlerweile gegen 7000 nachhaltige Anlagefonds und bis im Jahr 2025 geht die Beratungsgesellschaft PwC davon aus, dass 60% des europäischen Fondsvermögens nachhaltig angelegt wird. Mit der „Offenlegungsverordnung“ der EU, welche im März 2021 in Kraft treten sollte, werden Finanzdienstleister verpflichtet, umfassende Informationen abzugeben, wie nachhaltig ihre Produkte sind. Noch hat jeder ein eigenes Verständnis, was nachhaltig ist und was nicht. Dass nachhaltige Fonds nicht nur zu einer Marketinghülle verkommen, sollen klare Kriterien aufgestellt werden, wie die Nachhaltigkeit von Unternehmen und Anlagen zu beurteilen ist. Einen ersten einheitlichen Standard, soll es mit der Einführung der EU-Taxonomie-Verordnung per 1.1.2022 geben. Mit diesen EU-Regulierungen soll ein wesentlicher Beitrag geleistet werden, dass die EU bis 2050 klimaneutral wird.
Wie ist es überhaupt zu diesen Regulierungen gekommen und welche Themen werden im Fokus der „nachhaltigen“ Anleger stehen?
Bereits in den 1950er-Jahren prägte der Ökonom Howard Bowen den Begriff Corporate Social Responsibility (CSR). Er appellierte an Unternehmen, dass für ein erfolgreiches Handeln auch soziale und ökologische Gesichtspunkte berücksichtigt werden sollten. Richtig populär wurde der Begriff erst in den 1990er-Jahren und dann später in den 2000er-Jahren, als die Europäische Kommission CSR als freiwilliges System für die Unternehmenstätigkeit propagierte. Im 2011 legte die Europäische Kommission ein neues Strategiepapier vor, mit welchem sie die Unternehmen aufforderte (jedoch immer noch ohne Zwang), CSR-Strategien zu entwickeln und zu dokumentieren. Im Jahre 2017 wurde dann für einzelne Branchen wie Banken, Versicherungen und Fondsgesellschaften die Berichtspflicht eingeführt, welche sozialen und ökologischen Strategien sie im Unternehmen auf welche Weise verfolgen. Diese Berichtspflicht führt in der Praxis dazu, dass die betroffenen Branchen auch von ihren Zulieferern und Partnern CSR-Berichte einfordern. Auch die Schweizer Politik war diesbezüglich aktiv. Am 15. Januar 2020 hat der Bundesrat den revidierten CSR-Aktionsplan 2020-2023 verabschiedet. Damit werden 16 Massnahmen ergriffen, welche unter anderem die Nachhaltigkeits-Berichterstattung sowie die Sorgfaltsprüfung auf Unternehmensebene fördern sollen. Auch im Zusammenhang mit dem Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative wird die Einhaltung von Arbeits- und Menschenrechten, die Korruptionsprävention und Massnahmen zum Umweltschutz gefordert. Zusätzlich Unterstützung zur Entwicklung von CSR-Strategien erhalten Unternehmen durch die Einsicht der Anleger, dass Firmen, welche CSR-Massnahmen befolgen, aus folgenden Gründen erfolgreicher sind:
- Reputation (verantwortungsvolle Unternehmen haben höheres Ansehen und können dadurch besser Fachkräfte anziehen).
- Effizienz (Energie- und Ressourceneffizienz senken auch die Kosten)
- Risikominimierung (verantwortungsvolles Handeln reduziert u.a. Unfälle und Produktionsausfälle)
- Innovation (frühzeitiges Anpassen an regulatorische Vorgaben und veränderte Rahmenbedingungen fördert Innovation)
Parallel dazu haben auch die Vereinten Nationen verschiedene Initiativen ergriffen, die Wirtschaft nachhaltiger zu gestalten und Massstäbe zu entwickeln, was nachhaltiges Handeln beinhaltet. Im Jahre 2006 wurden Prinzipien für verantwortliches Investieren (Principles for Responsible Investment PRI) verabschiedet. Diese waren zwar noch unverbindlich, übten aber bereits einen moralischen Druck auf Pensionskassen, Versicherungen und Fondsgesellschaften aus, ihre Investitionen und Kapitalanlagen an ESG-Kriterien auszurichten. Der Begriff ESG (Environment-Social-Governance) stammt im Wesentlichen aus einem durch Kofi Annan initiierten Bericht aus dem Jahr 2005 („who cares wins“). Damit sollte gezeigt werden, wie ökologische, soziale und gewerkschaftliche Aspekte in die Kapitalmärkte integriert werden können. Mittlerweile haben sich ESG-Faktoren zu einem wichtigen Bewertungsmassstab in der Unternehmensanalyse entwickelt. Solche Faktoren sind:
- Environment/Umwelt (Klimastrategie; Umweltauswirkungen des Produktportfolios; Öko-Effizienz in Bezug auf CO2, Wasser, Abfall, Energie; Umwelt- und Energiemanagement)
- Social/Gesellschaft (Chancengleichheit; Vereinigungsfreiheit; Menschenrechte; Gesundheit und Sicherheit; soziale Auswirkungen des Produktportfolios; Lieferkettenmanagement)
- Governance/Unternehmensführung (Unternehmensethik; Compliance; Unabhängigkeit des Verwaltungsrates; Vergütung; Aktionärsdemokratie und –struktur; Steuern)
Während sich ESG-Kriterien an die Unternehmen richten, haben die Vereinten Nationen im Jahre 2015 17 Nachhaltigkeitsziele für die Politik definiert. Die unterzeichnenden Mitgliedsländer, darunter auch die Schweiz, haben sich verpflichtet, ihre Entscheidungen und Handlungen nach diesen Nachhaltigkeitszielen auszurichten. An oberster Stelle stehen dabei die Bekämpfung von Armut, Hunger und Krankheit, die Förderung hochwertiger Bildung und Chancengleichheit sowie Massnahmen zum Klima- und Umweltschutz.
Nachhaltiges Anlegen wird aber nicht nur regulatorisch gefördert, auch die jüngere Generation ist tendenziell sensibler gegenüber Themen wie Umwelt und Klimaerwärmung. In den nächsten Jahren werden enorme Vermögen von der Babyboomer-Generation an ihre Nachkommen verschoben. Die neue Anlegergeneration wird den Trend zu nachhaltigen Anlagen weiter unterstützen. Wenn sie selbst auf diesen Trend setzen wollen, so können Sie dies über den Kauf von ESG- Indizes oder ESG-Fonds tun. Auf jeden Fall lohnt es sich, bei der Strukturierung des eigenen Anlageportfolios Nachhaltigkeitskriterien Beachtung zu schenken. Sei es, dass Sie gewisse Branchen definieren, in welche Sie nicht (mehr) investieren möchten (Ausschlussstrategie), indem Sie bei der Auswahl der Titel die jeweils Besten der Branche aussuchen (best-in-class-Strategie) oder indem Sie bewusst Themen oder Firmen wählen, welche sich hauptsächlich in Sektoren mit positiven ESG-Merkmalen engagieren. Gerne unterstütze ich Sie bei der Wahl des geeigneten Produktes, resp. Titels oder bei der Ausrichtung des Portfolios.
Frohe Weihnachten – Alles Gute fürs 2021 – Bleiben Sie gesund!
Viele von Ihnen durfte ich im vergangenen Jahr in den Bereichen der Vermögensverwaltung, der Nachlass- und Vorsorgeplanung, im Stiftungswesen oder in diversen Themen der persönlichen Finanz-, Immobilien- und Rechtsberatung begleiten. Dafür und für die zahlreichen Rückmeldungen zum Newsletter danke ich herzlich. Ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben, trotz den weitreichenden Einschränkungen, ein lichterfülltes Weihnachtsfest und für das neue Jahr herzlich alles Gute, Glück, Erfolg und besonders beste Gesundheit!
